Grünstadt mit dem Charme einer Schlafmütze. Das Motto des nächsten Quilt-Ausschreibens lautet passend "Langeweile".
Es gibt nur eine kurze fußläufige Fußgängerzone. Aber die Geschäfte machen noch einen hoffnungsfrohen, die Kunden noch einen interessierten Eindruck. Das nahe Worms hat schon den Schmutz aber noch nicht den Schmuck einer Mittelstadt. Dort ist der Spießer schon eine würdige Stammtisch - Erscheinung mit Aussicht auf ein Nibelungen-Patriziat, hier Normbild der Mitte zwischen Idyll und Borniertheit.
Aber die Sonne kommt heraus und verleiht dem Samstag farbige Tupfen von Hoffnung. Die Strassen sind voll von Kindern, Müttern und Großeltern der Schnäppchenerwartung. Vor den Geschäften drängen sich die Stände der Heimat- und Wohlfahrtsvereine, die wie jene in den Geldbörsen der Gutmütigkeit grasen möchten. Kinderfest, ein Tag des guten Willens, nicht des Intellekts.
Es ist schön zurückzusehen in die Elternzeit, in der man die Wünsche der Kinder wissend teilen, ihre Erfüllung miterleben, die Enttäuschungen mildern durfte. So kann ich jetzt das unaufhörliche Quengeln, das das unaufhörliche Juxen begleitet, gut aushalten. Plätschern vom Bach einer schattigen Erinnerung.
Wir setzen uns, ein wenig in der Gemeinschaft öffentlicher Begegnung zu baden, von anderen Ländern und interessanten Köpfen zu lesen.
Ein Luftballonverkäufer unterhält bedauernswert geduldig einen Knäuel von Neugierigen für einen Beifall zu seiner Exzellenz-Initiative im Luftpressen.
Ein Lautsprecher springt an. Aus dem ersten Käfig des Psychologen Seligman treten Besatzungen aus Raumschiffen vom Krieg der Sterne hervor. In einer langen Prozession, angeführt von Filmhelden der Freiheit und von - Darth Vader, schreiten verkleidete Erwachsene durch ihre Phantasie. Lichtschwerter aus Plastik, Gesichter mit nachgearbeiteten Deformationen und Laserkanonen im breiten schwarzen Gürtel. Weiße Robotkrieger und Klingonen mit Faltenwülsten auf der Stirn spielen eine Welt der Abenteuer. Der Mensch braucht einen Festzug.-
Kinder genieren sich für Väter. Väter lungern in den Cafe´s. Man hat sie mit Bier aus dem Haus gelockt. Jetzt warten sie auf den Abend des Grill. Das Leben ist ein Fußballspiel. Sie kicken noch in der Altherrenschaft und warten auf der Ersatzbank. Hier ist der Käfig Nummer zwei: Melancholie, Depression, glimmende eingefaulte Ohnmacht.
Dunkelgrün und wachs-glänzend erheben sich die Blätter der Hecke aus der Erde. Gelbe Lichtpunkte an den Enden von Blütenfäden zeichnen zwei zarte einander berührende Linien über dem Blumenstängel. Aus dem dunklen Reich leuchtet das Jetzt.
So wandern sie von Fest zu Fest, bewegen Hüften und Bäuche und zeigen in einem leicht lächerlichen Aufzug ihre Sehnsucht nach einer Anderswelt, in der sie ernst genommen werden. Wenn dann die weiße Plastik-Rüstung, das Laser-Schwert abgelegt sind, bist Du noch für eine halbe Stunde Retter der Welt, Schönheit, Kraft, Magier, treuer Freund.
Ich zerreiße die Seite der Zeitung, um sie in den Bio-Müll zu stopfen. Brösel vom Saumagen, Plastikenten vom Wettschwimmen in der Wasserrinne, die ätzende Bemerkung eines in der Provinz verloren gegangenen Pädagogen fallen zu Boden. Ein Kinderlachen bläst sie aus dem Weg. Der Clown hat einen Ballonfurz gelassen.
Die Updates werden heruntergeladen und installiert. Mißgunst-Flatrate braucht den Euro nicht. Sarrazin packt die Vuvuzela aus und marschiert mit in den Krieg der Sterne, Leser machen. Keiner will einen Euro von ihm.-
Eine ausgelaugte Mutter am Nachbartisch greift zur Latte. Gelber Staub erhebt sich aus dem Rinnsal der sogenannten Muldenrinne. Häuser, Menschen und wir werden durchsichtig, aufgelöst. Die Wüste Streß dehnt sich zum Horizont.
Hinter den ersten Sandwehen erscheinen grau und grün erste Wedel von Dattelpalmen. Das Gitter eines filigranen Vogelkäfigs, an manchen Stellen noch im Goldglanz, senkt sich über die Landschaft. Sie geht durch das Tal zweier Sandberge hinein in die grünen Gärten der Oase. Vorbei am Friedhof Vogelsang, an den Werkstätten der Besenbauer. Besen sind profitabel in Staubdörfern.
Auf dem Wasserplatz hält dieser Jesus gerade eine themenzentrierte Sitzung zum Thema Erlösung mit dem engeren Kreis der zwölf Eingeweihten. Sieht und hört sich irgendwie nach Guru an. Die Leute erzählen, er glaube, Gott sei sein Vater.
Wenn man nach Spinoza geht, kann es ja auch für ihn richtig sein. Nach Bertrand Russel allerdings ist er nur irgendein Sektenführer. Na ja: wenn Gott in uns allen ist, warum soll er nicht in einem Guru sein? Oder in einem Sarrazin? Es gibt doch auch Vuvuzela. Aber gibt es Gott in einem Käfig? Petrus zwinkert ihr zu. Wenn das der Papst wüßte! Sie schüttelt den Kopf, geht weiter.
Eine amerikanische Drohne folgt ihr auf Schritt und Tritt. Als sie den Vorhang fallen läßt, hört sie das Surren noch über dem Haus kreisen. Saladin in Blau und Gold erwartet sie, wäscht und salbt ihre Füße. Andere treten ein. Schwaz gekleidete Raumfaher, Klingonen, weiße Robotkrieger. Sie warten auf das Wort. Heute wird die verquere Philosophie des Pythagoras vorgestellt. Sie üben den sokratischen Dialog.
Als sie den Vorhang hinter sich schließt, ruft der Regional-Reporter das große Juchzen aus. Die Sehnsucht eines Einkaufstags stürzt sich ins Vergnügen. Wir wünschen ihr viel Glück und kaufen uns 400 Gramm davon. Ein Saumagen aus der Offerte einer Heimatreklame.
Als wir den Parkplatz verlassen, trötet uns eine Vuvuzela ins Ohr. Von Gott verlassene Egomanie. Ich lasse die Scheiben hochfahren. Das Radio spielt klassische Musik, den Sound einer aus dem Sand der Ewigkeit ragenden Hoffnung. Richtig gehört klingt es wie ein gerade gebogener Jazz.
Ist doch ganz schön.
27.06.12
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